2.10 Elterngespräche gestalten
Wie können Elterngespräche gestaltet werden?
Elterngespräche stehen im Kontext einer erfolgreichen Integration des epilepsiekranken Kindes oder Jugendlichen. Da sich epilepsiekranke Menschen zumeist mit ihrem Anfallsgeschehen "im Spiegel der Umwelt" erleben - im Anfall ist in der Regel keine Selbstwahrnehmung möglich - können Eltern, Lehrer und Mitschüler wesentlich dazu beitragen, Unsicherheiten und Ängste als Ursache sekundärer Verhaltens- und Lernstörungen zu verhindern.
Vorbereitung auf Elterngespräche
Bei einem Gespräch mit den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten eines epilepsiekranken Schulkindes muss die Lehrkraft die eigene Rolle als Gesprächspartner besonders reflektieren.
Grundsätzlich gilt, dass Eltern oft in einer besonderen und dauerhaften Belastungssituation leben. Sie haben evtl. negative Erlebnisse mit Vorurteilen und Unwissenheit hinter sich. Auch Eltern müssen, wenn sie Schule kritisch sehen oder gar mit Vorwürfen konfrontieren, dort abgeholt werden, wo sie mit ihren Sorgen stehen. Sie sorgen sich um ihr Kind, sie leben mit ihrem Kind - anders als der Lehrer - nicht nur auf Zeit. Sie sind als die betroffenen Eltern die Experten für ihr Kind - noch mehr als der Facharzt oder Therapeut. Die gemeinsame Sorge um die Zukunft des Kindes oder Jugendlichen kann Basis für das Gespräch sein.
Mögliche Inhalte eines Elterngesprächs
Sicherlich sind die Ziele eines Gesprächs mit den Eltern über die spezifische Problematik ihres anfallskranken Kindes je nach individuellen Gegebenheiten unterschiedlich. Anregung für die Durchführung kann der Leitfaden für Elterngespräche im Anhang sein. Einige Aspekte, die Thema eines solchen Gesprächs sein könnten, seien aber im Folgenden genannt:
- Im Gegensatz zu den meisten Behinderungen und chronischen Krankheiten "behindert" eine Epilepsie in der Regel nur in den Minuten des Anfalls. Das Gespräch dient der Erkundung, wie man das betroffene Kind bei seiner individuellen Bewältigungsstrategie am besten unterstützen kann. Andererseits sollte versucht werden, Klarheit darüber herzustellen, welche schulischen Problembereiche spezifisch der Epilepsie zugeordnet werden müssen, welche sekundärsymptomatisch sind und welche möglicherweise doch unabhängig davon zu interpretieren und zu lösen sind.
- Während der Persönliche Fragebogen die wichtigsten Fakten enthält, die den verschiedenen unterrichtenden Lehrern und der Schulsekretärin zugänglich sein sollten, muß es im persönlichen Gespräch darum gehen, Details für den schulischen Alltag zu erfassen. Das betrifft ebenso die Kenntnis von Nebenwirkungen der Medikamente, insbesondere bei Verlangsamungen der Motorik, wie die Frage, wie viel Freiheit und Selbstständigkeit man dem Kind lässt. Oft wird das Kind aus Angst vor dem Sturzrisiko bei Anfällen überbehütet. Das Verletzungsrisiko kann zur extremen Kontrolle des Kindes durch die Umwelt führen. Die Kinder werden täglich gebracht und abgeholt. Dadurch wird diesen Kindern die Entwicklung eines Gefühls der Selbstbestimmung erschwert. Gerade das Erlebnis der Unkontrollierbarkeit der Anfälle, die Grunderfahrung des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit wirken sich negativ auf das Selbstvertrauen auselleicht kann den Eltern im Gespräch diese Problematik bewusst gemacht werden, so dass gemeinsame Strategien entwickelt werden, die Selbstständigkeit und Ich-Stärke des Kindes zu fördern.
- Eltern haben häufig eine Odyssee durch verschiedene Krankenhäuser hinter sich und eine Unzufriedenheit mit medizinischen Erfolgen entwickelt. Vielleicht sind sie auch schon auf Ablehnung bei Lehrern und Schulleitern gestoßen, die das Kind nicht in ihrer Schule haben wollten, weil sie sich selbst überfordert fühlten und vor dem Hintergrund ihrer Aufsichtspflicht Bedenken anhäuften. Hier gilt es Enttäuschungen aufzufangen und neues Vertrauen aufzubauen.
- Auch die Kollegen sollten über die Wirkung von Medikamenten informiert sein, um bestimmte Verhaltensweisen des Schülers wie Müdigkeit nicht falsch im Zusammenhang mit Problemen der Lebensführung zu interpretieren. Wünschenswert ist es weiterhin, wenn die Klassenkameraden über die Erkrankung des Mitschülers oder der Mitschülerin Bescheid wissen und deshalb nicht panisch oder schockiert reagieren, wenn ein Anfall auftritt. Mit den Eltern sollte daher geklärt werden, welche Informationen an wen und in welcher Form weitergegeben werden.
- Wichtige Grundvereinbarung zwischen Eltern und Pädagogen muss es sein, dass die Persönlichkeit des epilepsiekranken Kindes oder Jugendlichen keinesfalls allein über die Epilepsie definiert sein darf.
Gesprächsergebnisse und Vereinbarungen sollten dokumentiert werden und die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus kontinuierlich begleiten. Im "Persönlichen Fragebogen" sowie im "Leitfaden und Protokollbogen" bzw. bei Vereinbarungen zum Nachteilsausgleich können die getroffenen Absprachen und der Zeitpunkt der nächsten gemeinsamen Reflexion festgehalten und von den Beteiligten durch ihre Unterschrift bestätigt werden.