1.3 Einteilung
Es gibt zwei Möglichkeiten, Epilepsien zu klassifizieren. Zum einen nach ihrer Ursache, zum anderen nach dem Erscheinungsbild der Anfälle. Die Nomenklatur der Einteilungen ist im Umbruch, daher geben wir hier sowohl die alten als auch die neuen Begriffe an.
Klassifikation nach Ursachen
- Strukturell/Metabolisch (alt: symptomatisch): Die Ursache der Epilepsie ist bekannt, z. B. Hirnverletzung, Schlaganfall, Stoffwechselstörung, Infektionsfolgen.
- Genetisch (alt: idiopathisch): Die Ursache der Epilepsie ist genetisch bedingt.
- Unbekannt (alt: kryptogen): Es kann nach heutigem Wissen keine Ursache gefunden werden.
Klassifikation nach Anfallsformen
Anfälle haben viele verschiedene Erscheinungsformen, die heutzutage sehr differenziert eingeteilt werden können. Grob unterscheidet man nach der Ausbreitung der epileptischen Aktivität im Gehirn nach:
- generalisiert (das ganze Gehirn ist betroffen)
- fokal (die epileptische Aktivität ist nur in einem bestimmten Areal des Gehirns, dem Fokus, zu beobachten)
Generalisierte Anfälle
Mit motorischen Symptomen: z. B. Grand mal-Anfall
Diese Anfallsform verläuft in mehreren Phasen, die auch teilweise übersprungen werden können.
- Aura: Manche Kinder verspüren ein (meist unbestimmtes) Vorgefühl von unterschiedlicher Dauer.
- Tonische Phase: Sämtliche Muskeln versteifen sich gleichzeitig. Das Kind ist bewusstlos. Da beim Sturz die Abwehrreaktionen fehlen, kann es zu schweren Verletzungen kommen. Dauer: Sekundenbruchteile bis Sekunden.
- Atonische Phase: Statt der Tonuserhöhung (= Erhöhung der Muskelspannung) kann es auch zum Tonusverlust kommen, d. h. das Kind wird schlaff, bewusstlos, fällt hin und atmet nicht wahrnehmbar.
- Klonische Phase: Es kommt zu rhythmischen Zuckungen (Kloni) an allen Gliedmaßen. Auch die Zunge kann beteiligt sein, wodurch Schaum (Speichel) vor den Mund treten kann. Da die Atemmuskulatur nicht ausreichend einsetzt, kann Blaufärbung von Lippen und Gesicht auftreten. Dauer: Sekunden bis ca. 3 Minuten. Der einzelne Anfall hört in der Regel ohne äußeres Zutun von selbst wieder auf.
- Erholungsphase: Die meisten Kinder schlafen nach dem Anfall, manche einige Minuten, andere ein paar Stunden.
z. B. Myoklonischer Anfall:
Kurze, vereinzelte, plötzlich einschießende Zuckung von Armen, anderen Körperteilen oder auch vom ganzen Körper. Bei solch einer abrupt auftretenden Zuckung kann z. B. der Stift im hohen Bogen durch die Klasse fliegen. Sie können auch mit atonischen, tonischen und klonischen Komponenten kombiniert sein.
Mit nichtmotorischen Symptomen z. B. Absence:
Kurze Bewusstseinspause, bei der das Kind in seiner Handlung verharrt, einen starren Blick bekommt, eventuell nach oben schaut, mit den Augen blinzelt oder mit den Lidern zuckt. Dauer: gewöhnlich nur ein paar Sekunden (= „Hans Guck-in-die-Luft“). Der Anfall beginnt plötzlich und endet ganz abrupt. Diese Anfälle können sehr häufig am Tag in Serien auftreten, manchmal hundertmal oder mehr. Die Kinder haben für die Dauer des Anfalls kein Bewusstsein, können jedoch automatische Dinge weiter ausführen (z. B. Radfahren, Laufen). Sie fallen dabei nicht hin.
Fokale (Herd- oder partielle) Anfälle
Fokale Anfälle können sowohl bei komplett erhaltenem Bewusstsein auftreten (einfach fokal), aber auch mit eingeschränktem Bewusstsein (komplex-fokal). Zusätzlich unterscheidet man, ob sich der Anfall durch motorische Symp-tome (z. B. Bewegungen, Zuckungen) manifestiert oder durch nicht motorische Symptome (Kribbeln in der Hand, Blass-werden o. ä.).
Einfach-fokaler Anfall:
Eine bestimmte Stelle/Region (= Fokus) im Gehirn ist in ihrer Funktion gestört. Das Kind spürt z. B. ein Zucken der Hand, des Mundes oder (von außen nicht sichtbar) ein komisches Gefühl oder ein Kribbeln – je nachdem, welche Region des Gehirns von der epileptischen Aktivität betroffen ist. Es erlebt den Anfall bei vollem Bewusstsein, kann aber z. B. das Zucken nicht unterdrücken.
Komplex-fokaler Anfall:
Stellen im Gehirn, die das Bewusstsein beeinflussen, sind in ihrer Funktion gestört. Während des Anfalls ist das Be-wusstsein mehr oder weniger eingeschränkt und das Kind reagiert nur bedingt sinnvoll auf Ansprache. Dabei können nicht nur Nesteln und Schmatzen, sondern auch komplexe Handlungsabläufe auftreten, z. B. packt ein Kind ohne ersichtlichen Grund seine Büchertasche ein oder schiebt einen Stuhl durch das Klassenzimmer.
Diese Anfälle beginnen und enden langsam - es dauert einige Zeit, bis das Kind wieder ansprechbar ist.
Fokale Anfälle können auch in einen Grand mal-Anfall übergehen, man spricht dann von einer sekundären Generalisierung.